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Die neue Kuhn-Orgel der Tonhalle Zürich
Die neue Kuhn-Orgel der Tonhalle Zürich
Review der neuen Doppel-CD | CD des Monats März 2022

Verlag «Organ» 2021 Schott Music & Media ORG72822

Anna-Victoria Baltrusch, Marco Amherd, Christian Schmitt, Peter Solomon, Andreas Jost, Martin Haselböck, Elisabeth Harringer-Pignat, Cathrin Kudelka, Kamil Losiewicz, Gabriele Marinoni, Tobias Willi

Es ist immer schwierig, angesichts von Superlativen zu vermeiden, in weitere Superlativen zu verfallen. Ein solcher Fall ist die Neue Tonhalle Orgel in Zürich, wie auch die aktuell vorliegende Aufnahme, welche die erste CD des neuen Instrumentes im gelungen renovierten weltberühmten Saal darstellt. Ich hatte selbst die Freude, das Instrument vor der Einweihung mehr als zwei Stunden spielen und ausgiebig ausprobieren zu können, und war beim grandiosen Orchesterkonzert zur Einweihung der neuen Orgel ebenfalls anwesend. Die euphorischen Gefühle, die sich bei diesen Gelegenheiten im Erleben und im „Er-Tasten“ des Instruments einstellten, bestätigen sich auf der vorliegenden Live-Aufnahme, die anlässlich der ersten Orgelnacht vom 25. September 2021 entstand. Dabei werden die Möglichkeiten des neuen Instruments mit sieben Originalkompositionen für Orgel bzw. für Ensemble und Orgel, sowie mit drei Transkriptionen von Orchesterwerken vielfältig und bunt dargestellt.

Den Anfang macht Anna-Victoria Baltrusch mit zwei Sätzen aus Sigfrid Karg-Elerts „Pastellen vom Bodensee“ (The Sun‘s Evensong & Hymn to the stars). Bereits diese beiden Werke lassen in ihren kaleidoskopartigen schillernden Registrierungswechseln, welche typisch für Karg-Elerts Klangsprache sind, aufhorchen und demonstrieren einerseits beeindruckende übergangslose Crescendi und Decrescendi, andererseits wunderbare Solofarben, wie verschiedenste Flöten aller Couleur, herrliche Streicherchöre, die beiden unterschiedlichen Klarinetten und das einmalige Waldhorn.

Akira Nishimuras „Vision in flames“ zeigt die Klangmöglichkeiten des neuen Instruments für neue und zeitgenössische Musik: flirrende Mixturen und Aliquoten in Anfangs- und Schlussteil, und ein ruhiger Grundstimmen-Mittelteil mit verschiedenen Soli. Marco Amherd beweist somit, dass sich das neue Instrument auch auf dem modernen Parkett bewegen kann.

César Francks oft gespieltes Opus 18 wird hier in der vom Komponisten selbst vorgenommen Bearbeitung für Orgel und Klavier durch Christian Schmitt und Peter Solomon dargeboten. Hierbei gelingt es Schmitt, die solistischen Qualitäten des Hautbois 8‘ ansprechend darzustellen, wie auch durch geschickte Beimischungen, die vom Komponisten so geliebten Harmoniumklänge aufleben zu lassen.

Großmünsterorganist Andreas Jost bietet mit grossem Vergnügen eine Transkription von Claude Debussys „Danse“, welche in der gelungenen Bearbeitung von Thierry Hirsch lustvoll und lebensfroh-tänzerisch die Qualitäten der verschiedenen orchestralen Zungen und weichen Grundstimmen zeigt, daneben profunde oder auch butterweiche Bässe, gut verschmelzende Ensembles und eindrückliche Schwelleffekte.

Martin Haselböck musiziert, gemeinsam mit drei Streichern des Tonhalleorchesters, drei Kirchensonaten von Mozart, bei welchen die „klassischen“ und „kammermusikalischen“ Qualitäten des Instruments zutage treten.

Mag der ein oder andere kritische Zeitgenosse die Notwendigkeit oder den Sinn von Orgeltranskriptionen von Orchesterwerken anmahnen – zumal in einem weltberühmten Konzertsaal mit Weltklasse Orchester: auf der vorliegenden CD wird eindrücklich demonstriert, wie ein derart „freches“ Unterfangen zum größten Vergnügen der Zuhörer gelingen kann – in bester Tradition der englischen und amerikanischen Townhall-Orgeln.

Die beiden abschließenden Transkriptionen von Sibelius‘ Finlandia, welche die fanfarenartigen Qualitäten der Trompete orchestrale des Solowerks herausstellt und in ihrem choralartigen Mittelteil mit der traumhaften Vox Humana fast schon Franck‘sche Mysterien anmuten lässt, wie auch der von Tobias Willi klangsinnlich und virtuos (auch mit Tuben, Glockenspiel und der neuen „Nasenflöte“) umgesetzte „Dance macabre“ von Saint-Saens zeigen eines:

Die neue orchestrale und vom extremsten Pianissimo bis dreifachem Fortissimo wandlungsfähige Tonhalle-Orgel ist fähig und bereit, ihren würdigen Platz in der internationalen Konzertsaal-Orgelszene einzunehmen.

Am Anfang sprach ich von Superlativen, die weitere Superlativen gebären – nun hab ich’s doch getan: hier stehe ich – und kann nicht anders!

Es bleibt zu wünschen, dass noch in vielen beglückenden Konzerten (wie der Orgelnacht vom 25. September 2021 und den beiden Einweihungskonzerten mit Orchester & Orgel), sowie mit zahlreichen CD- und Video-Aufnahmen, die Freude an dem vollends gelungenen Instrument dem Publikum live oder in Aufzeichnungen erlebbar gemacht wird: vorbehaltlose Empfehlung!

 

Bezugsquelle bei Schott Music

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Veröffentlicht von Thomas Haubrich
Thomas Haubrich, sprengt als Organist und Dirigent gerne Grenzen. Im Im thurgauischen Amriswil als Kirchenmusiker tätig, betreut er vielfach Orgelbauprojekte und gibt Konzerte im In- und Ausland.