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Pro Memoria Hans Haselböck
Pro Memoria Hans Haselböck
Humanist - Künstler - Kirchenmusiker - Artist

„Das Leben ist eines der Schwersten…“

Pro Memoria Hans Haselböck 1928-2021

Wolfgang Sieber Luzern

 

Eigentlich hätten wir uns im November 2021 in Wien begegnen wollen; nun ist er wenige Tage zuvor von uns gegangen, am 20. Oktober 2021: DONA EI REQUIEM.

Unsere Familien waren freundschaftlich verbunden, über Jahrzehnte. Wir haben uns in Luzern und Wien besucht und jeweils die gemeinsamen Geburtstage meiner Frau Sylvia mit Hans gefeiert: auf den Tag genau, einfach dreissig Jahre verschoben. Hans blieb mein weises, väterliches Vorbild; durch all meine unentwegten „Szenengänge“ lebte er mir klare Werte vor, kommentierte kurz und prägnant, aber milde, „Wienerschmäh“ – schmunzelnd. Berufliche, theologische, familiär-gesellschaftliche, vor allem künstlerische Themen beschäftigten uns ohne Unterlass und jetzt… ist es stumm und still. „Er hat mich verlassen“ just in jenem Monat, wo ich nach drei Jahrzehnten mein Amt als Stifts- und Hoforganist zu St. Leodegar Luzern niederlegte und gedankenspinnend sinniere; den Sinn eigenen Tuns zu platzieren, mit historischen Fakten zu gliedern, Zustände und Levels zu vergleichen, emotionale und kulturelle Befindlichkeiten zu gewichten, gar zu visionieren und Neues zu wagen.

v.l.n.r. Lucie und Hans Haselböck mit Sylvia Käslin (2016)

In ach so vielen Disziplinen war Hans ein Meister: im Abwägen planerischer Details, taktisch und strategisch bis hin zur Gesprächsführung, in der Wettbewerbs-Expertise, als Fremdenführer durch die schöne Wachau mit Melk, im Anpreisen und Geniessen des weltbesten Federweiss. Er referierte über Kirchenbaustile genauso wie über Eigenarten und Besonderheiten bekannter Orgeln und deren Titulaires: weltweit. Professor Doktor Hans Haselböck berichtete stets in verknüpften Gedankengängen und verband damit Zeit, Ort, Aktion und Akteur. Der Flickenteppich ward zum imposanten Gebilde eines promovierten Philologen, eines Humanisten mit ironischer Note, schelmisch mitunter im Nebensatz, ständig im berichtenden Flow unzählige Fakten wiedergebend, welche doch in unserer kurzen Zeit, die uns die Begegnungen bot, verstanden und auf den Tisch gebracht sein sollten.

Dann begab er sich an die Orgel und seine quasi zufällig hingeworfenen Improvisationspartikel schienen einzig der schlichten Registerpräsentation zu dienen. Dabei entwickelte er seine charmante Partita, das Flair charakteristischer Jazzharmonik blitzte – zufällig gelegentlich – durch modale Klänge und dann folgte gekonnte, blitzgescheite, vitale Architektur: präludierend liebevolle Selbstverständlichkeit erklang. Nie war es Pfefferei, aber crescendierend und dann gipfelte Meisters Orgelwerk gar im sechsstimmigen Ricercare: wunderbar!

Was niemand wusste: Hans Haselböck spielte an der Steinmeyer-Schuke-Orgel im RadioKulturhaus des Grossen Sendesaales des ORF Wien nicht nur Orgelkonzerte von Guilmant oder Petr Eben (Uraufführung des II. Orgelkonzertes); er spielte auch Jazz, zusammen mit seinen Partnern am Bass und Schlagzeug. Take Five von Desmond oder Blue Rondo à la Turk von Brubeck waren zwei Titel, deren Aufnahmen mir Hans abspielte. Als wärs zufällig, spielte der Jazz-Organ-Player „seine Domäne“ mit routiniertem Groove, stets vorne am Schlag. Als wärs eine Hammond mit B3-Equipment, klingt die mächtige Saal-Orgel rank und knochig, geführt vom Bass-Pizz, eingebettet in Cymbel-Flächen und Brushes-Offs: grandios!

Anlässlich unseres Wiener Besuches präsentierte Hans Haselböck mit Stolz sein klösterliches Heim: die Familie Haselböck bewohnte mehrere Mönchszellen des Wiener Dominikanerklosters an der Postgasse. In diesen Klausen wuchs die Familie zusammen mit seiner Ehefrau Lucie auf und Sylvia und ich erlebten die monastisch geprägte Gastfreundschaft.

Nur wenige Schritte vorbei am klösterlichen Mauerwerk standen wir auf der Dominikaner-Empore vor seiner geliebten Orgel aus barocker Welt um 1750. Ursprünglich… denn 1895 wurde das Instrument neu gebaut und auf drei Manuale erweitert und im Mozartjahr 1991 restaurierte, renovierte Orgelbau Schuke Berlin auf Schleifladen und das Instrument erhielt 46 Register mit mechanischer Spiel- und Registriertraktur.

An die 70 Jahre stand Hans im Dienste kirchlicher Musik, wobei seine ethisch-religiöse Haltung in der Anwendung verschiedener Stile keine Zweifel aufkommen liess, in der Liturgie und Kirche Volksmusik, Jazz oder Populärmusik tunlichst zu unterlassen. Hans Haselböck unterschied strickte zwischen Kirchenraum und Konzertsaal. Etwas verwegen zwar erwiderte ich, dass Mozarts Benedictus aus der Krönungsmesse zweifellos einem Hirtentanz entspräche, als befänden wir uns in Zauberflötens „Tanzmusik“. Hans lächelte herzhaft zurück…

Nun erläuterte der Meister spielend die Grundstimmen, labiale und Zungenstimmen, spielerisch schweben agile Gelenke über die Tasten und skizzieren die schlanken, profunden, auch weichen Werklein in dieser feinen Orgel mit ihrer 200jährigen Geschichte. Kurz, auch schalkig waren seine Kommentare, mit pädagogischem Willen evozierte er „sein“ Programm, das ich an meinem ersten Konzert spielen dürfte: stilistisch entwickelnd, ohne siebersche Spielereien… also ein klassisches Programm.

Hans Haselböck beim Erklären „seiner“ Orgel in der Wiener Dominikanerkirche (2017)

Kennengelernt habe ich Hans als Vorsitzenden im Experten-Kollegium des ARD-Wettbewerbes. Seine klaren Vorgaben waren beispielhaft; etwa im Umgang mit den „Nerven-Possen“ beim Vorspiel, wie ein Kandidat musikalisch herausragend spielen kann, im Belastungsmodus bei laufenden Kameras aber leider versagt. Als wär’s die einfachste Sache der Welt, rückt Hans Haselböck seinen Wiener Schmäh ins Gespräch und der Kandidat gesteht ein, versteht, bedankt sich gar… Wie war denn sein Umgang mit jenen Jury-Mitgliedern, deren Landes-Kandidaten doch zu gewinnen haben? Hans argumentierte einfach und plausibel, seine blitzschnellen Entscheide waren unumstösslich, stets aber wohldosiert in Wort und Gestus. Hans war und lebte seine Autorität, weil er konnte, was er sagte, weil er wusste, was er spielte, weil er fühlte, was seine Umgebung bewegte.

Und dann erlebte ich ihn als begeisterten Fremdenführer und Kenner seines Landes. Die Fahrt führte uns in die Wachau, ein Tal entlang der Donau, ein Weltkulturerbe (wie das luzernische Entlebuch) mit mildem Klima und eines der etwa zwölf Weingebiete der Welt, welches jährlich aussergewöhnlichste Weine hervorbringt… und wir zogen von Schenke zu Schenke und genossen den Heurigen (Federspiel, Grüner Veltliner, Fuchs und Wolf, bis zur Leichtigkeit des Seins). Herab von der aus dem zwölften Jahrhundert stammenden Ruine Aggstein, bewunderten wir den atemberaubenden Ausblick auf Tal und Fluss und freuen uns auf Melk! Vorab versetzte mich Historiker Hans in Schrecken: Macht und Totschlag dominierten das Geschehen auf Aggstein und die Greueltaten um diese Burg erhitzten das Gemüt.

Auf Melk, der Abtei über der Donau, dem prächtigsten Barockbau überhaupt, wurden wir von Hans‘ Benediktinerfreund vertrauensvoll begrüsst. Wir erlebten eine Klosterführung persönlichster Güte, kulminierend in der Orgelimprovisation von Hans: klassisch in der Form, mit moderner Harmonisierung dosiert, erklang die Hradetzky-Orgel der Stiftskirche Melk.

Unsere Tagesreise endete in Maria Langegg, dem Wallfahrtsort „Maria, Heil der Kranken“ im Dunkelsteinerwald, dem Lieblingsplätzli von Hans und Lucie Haselböck und dem Ort seiner Grabesstätte; wie er mir schon früher beteuerte: hier wird unsere letzte irdische Stätte auf dieser Welt sein! Zauberhaft erscheint uns der Ort der Stille. Als ein schlankes Weiss erhebt sich die Pest-Wallfahrts-Kirche in den blassblauen Himmel… und schon befanden wir uns auf der Orgelempore der lichtdurchfluteten Wallfahrtskirche. Weissgolden präsentiert sich ein anmutiges Rokoko-Gehäuse klassizistischer Güte. Wir skizzierten ein Konzertprogramm für zwei Organisten und besprachen uns mit dem verantwortlichen Organisten vor Ort. Gekrönt wurde unser erlebnisstarker Tag im Gasthaus Tastl: mit exquisiten Knödeln und feinstem Kaiserschmarrn. Wir diskutierten uns durch die Geschichte und Organistenpraxis und streiften gesellschaftliche, künstlerische, gar klerikale Belange. Nicht das Kulinarische oder Dionysische waren ausladend; solcherart Gelage standen nie zur Debatte. Unerreicht hingegen oder auch grenzenlos war die Dichte der Gedanken, das Destillat aus zahllosen Fakten, der Brückenschlag der Vergangenheit ins Jetzt. In Hans‘ Ausführungen nistete sich stets Ironie, bisweilen auch Zynismus: „Die Geschichte lehrt uns, dass wir nie daraus lernen werden!“

In mir machen sich Verlustgefühle breit, die Gedanken zurück hindern das Vorwärts und das Visionäre würde nur durch erleb- und vorstellbare Parameter zur Form. Eben grad ist ein solcher „Star“ entschwunden und ich fühl mich allein.

„Das Leben ist eines der Schwersten“, bemerkte Hans.

Solange stets und neue Erlebniskraft die Starre löst und Schmunzeln, Witz und Charakter des geliebten Freundes die Erinnerungen nähren, wollen wir – lieber Hans – Deine Arbeit weiterführen und stärken die Liebe zur Orgelkunst und deren unzähligen Welten mit ebenso unzähligen Menschen, welche Dich und Dein Werk achten und verehren!

Wolfgang Sieber

em. Stifts- und Hoforganist zu St. Leodegar Luzern

im April 2022

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Veröffentlicht von Wolfgang Sieber
Nach seiner Aera an der Luzerner Hofkirche (1992-2021) präsentieren sich Wolfgang Sieber ungeahnte Projekte „wie ein frischer Wind durch das geöffnete Fenster“: Das Orgelportal, liturgische Musik in verschiedenen Kirchen, sein Orgel-Coaching an den Instrumenten begeisterter Organist:innen, sein Orient-Experiment, Kompositionen, Einspielungen und Konzerte. Wolfgang Sieber wirkt als dynamischer Grenzgänger und publikumsnaher Charismatiker.